Gudrun Brendel-Fischer ist seit November die Integrationsbeauftragte in Bayern. Foto: Gudrun Brendel-Fischer
Gudrun Brendel-Fischer ist seit rund 100 Tagen die Integrationsbeauftragte Bayerns
Bayreuth/München
09.04.2019
Zeitungsartikel aus der Fränkischen Zeitung (FZ) vom 10.04.2019:
Seit November ist Gudrun Brendel-Fischer als Integrationsbeauftragte in Bayern unterwegs. Im Interview zieht sie eine erste Bilanz.
Frau Brendel-Fischer, wie sieht Ihre Bilanz nach 100 Tagen im Amt aus?
Gudrun Brendel-Fischer: Ich habe in den vergangenen 100 Tagen viele Menschen kennengelernt und mir vor Ort ein Bild machen können, wo und wie Integration gut läuft und wo es aber noch „hapert“. Ob in Schulen, im Gespräch mit Lehrern und jungen Geflüchteten, ob in interkulturellen Begegnungsstätten sowie Mütter- und Familienzentren, ob mit ehrenamtlich Engagierten aus Sportvereinen, Asylhelferkreisen oder karitativen Gruppen, ob mit Azubis und Ausbildern, mit Vertretern unterschiedlicher Communities oder Vertretern aus Kirche, Wirtschaft und Wissenschaft – das alles ermöglichte mir einen wichtigen, authentischen Einblick. Wir sind schon auf einem guten Weg – das belegen auch die Zahlen etwa bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Aber wir müssen und können in den drei Säulen der Integration – Sprache, Bildung, Arbeitsmarkt – noch besser werden.
Was sind die genauen Aufgaben einer Integrationsbeauftragten?
Brendel-Fischer: Eine wichtige Aufgabe ist die Beratung der Staatsregierung. Das geht, wie gesagt, nur, wenn man viel in Kontakt ist mit allen Akteuren und Betroffenen, die am Integrationsprozess beteiligt sind. Schließlich kommt es auf die Praxis und die Experten vor Ort an! Dabei ist es mir wichtig, proaktiv zu arbeiten, selbst auf Menschen und „Themen“ zuzugehen. Ich möchte auch diejenigen Gruppen stärken, die ich als den Integrationsmotor schlechthin erachte. Das sind zum einen Frauen und Mütter. Wer sie stärkt, stärkt auch die Kinder und Familien insgesamt. Deshalb müssen wir die Elternarbeit intensivieren, im Kindergarten, in Schulen, in den Mütter- und Familientreffs. Zum anderen sind es die Migranten selber, die zu einem selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft und unserer Kultur geworden sind. Sie sind wichtige Multiplikatoren und die besten Botschafter für Integration, die man sich wünschen kann.
Wie wichtig ist Integration?
Brendel-Fischer: Integration ist die Mega-Aufgabe der nächsten Jahre. Sie muss gelingen. Es stellt sich gar nicht die Frage, ob oder ob nicht. Deshalb wäre es auch grob fahrlässig, die Mittel dafür zurückzufahren. Damit würden nicht nur notwendige künftige Maßnahmen unterbleiben, sondern auch die erreichten Erfolge verpuffen.
Wo liegen die größten Probleme?
Brendel-Fischer: Das kann man in drei Worten zusammenfassen: Arbeitsmarkt, Sprache, Werte. Der Großteil der Menschen, die weltweit und aus Europa zu uns kommen, ist gering oder überhaupt nicht qualifiziert. Man muss sie erst fit machen für den deutschen Arbeitsmarkt. Und das fängt nicht etwa bei einer Ausbildung an; das fängt meist bei null an: nämlich bei der Sprache. Und hier liegt die eigentliche Hürde. Wenn bei den Sprachkursen nur rund die Hälfte der Teilnehmer besteht, dann muss man einiges effizienter machen, und zwar auf allen Seiten – Sprachkursanbieter, Eigenleistung der Teilnehmer, Lernstoff und Übergänge, äußere Rahmenbedingungen wie Kursort oder Kinderbetreuung. Drittens: Werte – das Wort kommt so einfach daher; aber Wertevermittlung ist das Schwierigste von allen dreien. Denn Werte kann man nicht „lernen“ wie eine Fremdsprache. Werte muss man vorgelebt bekommen, man wächst hinein im täglichen Umgang miteinander – in der Familie und am Arbeitsplatz, in Schulen und Kitas, in Kirchen und Vereinen, in den Quartiers und Nachbarschaften.
Was sind die dringlichsten Aufgaben?
Brendel-Fischer: Wir haben in Bayern aktuell rund 25 000 sogenannte Fehlbeleger. Menschen, die anerkannt sind, finden keine Wohnungen. Und Wohnungen können wir nicht von heute auf morgen herzaubern. Die Zahl der Fehlbeleger nimmt erfreulicherweise ab. Das ist ein Trend in die richtige Richtung. Wir müssen uns aber noch mehr anstrengen. Für anerkannte Flüchtlinge und Bürger mit niedrigem Einkommen sorgt der Freistaat zum Beispiel mit dem staatlichen Sofortprogramm des „Wohnungspakts Bayern“.
Gerade durch die Politik entsteht oftmals der Eindruck, dass die Falschen abgeschoben werden, zum Beispiel gut integrierte Menschen. Wie kann das anders gelöst werden?
Brendel-Fischer: Natürlich macht es keinen Sinn, Menschen abzuschieben, die schon länger hier leben und in Lohn und Brot sind, die für sich und ihre Familien sorgen können. Auch der Fachkräftemangel, der akut ist und bleibt, zeigt uns immer wieder, dass Handlungsbedarf besteht. Deswegen ist das Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz auch so wichtig. Nun geht es vor allem um eine sinnvolle Übergangsregelung. Bayern agiert als Vorreiter, indem es Anfang März im Vorgriff auf dieses Gesetz viele Erleichterungen eingeführt hat, damit besonders gut integrierte Asylbewerber künftig öfter arbeiten oder eine Ausbildung beginnen können. Mit mehr Einzelfallgerechtigkeit schaffen wir auch mehr Beschäftigungsverhältnisse.
Bei aller Hitze der Debatte müssen wir eines aber mitbedenken: Wer wirklich schutzbedürftig ist, wird hier immer Schutz finden – egal ob jung oder alt, gesund oder krank, ob hochqualifiziert oder Analphabet. Denn bei unserem Asylsystem steht der Mensch, nicht die Arbeitskraft im Mittelpunkt. Wir wollen keine Vermengung von Asyl und Schutz einerseits und Arbeitsmarktmigration andererseits.
Und wie können Bürger, Vereine oder Einrichtungen von der Integrationsbeauftragten profitieren?
Brendel-Fischer: Bürgerschaftliches Engagement war mir schon immer sehr wichtig. Ich bin selbst von früher Jugend an immer ehrenamtlich aktiv gewesen. Als ehemalige bayerische Ehrenamtsbeauftragte durfte ich mich den Belangen der Ehrenamtlichen in Bayern intensiv widmen. Das möchte ich auch als Integrationsbeauftragte beibehalten. Ich bin überzeugt: Ohne die unzähligen Ehrenamtlichen, ohne ihre Zeit, ihre Zuwendung und ihre Tatkraft wäre die Integration in Bayern nicht so gut gelungen und ohne sie wird sie auch weiterhin nicht so gut gelingen können. Deshalb wird Bayern im Bund weiterhin auf eine Erhöhung der steuerlichen Anerkennung von Freiwilligenarbeit drängen.